Kirkwall – The Ba‘ Game

Eigentlich ist es leicht erklärt: 2 Teams, 2 Tore, ein Ball… und doch ist das „Ba’ Game“ auf den schottischen Orkney-Islands eine ganz eigene und besondere Art des Massenfussball. Zweimal jedes Jahr herrscht in Kirkwall, der Hauptstadt der Orkney- Islands, Ausnahmezustand: Denn dann ist Zeit für „Ba’ Game“! Und das bedeutet, dass sich eine Menge von etwa 300 Männern um eine Lederkugel, den Ba, streitet und sich quer durch Kirkwall bewegt ohne Rücksicht auf Verluste. Das Geschiebe und Gedrücke kann nach einigen Minuten vorbei sein oder aber auch Stunden dauern.

Der Ba

Der BaJedes Ba’ Game wird mit einem eigens dafür angefertigten Ba gespielt. Er besteht aus Leder und ist mit Kork gefüllt. Die Korkfüllung ist notwendig, damit der Ba schwimmt. Genaue Abmessungen gibt es nicht, da jeder Ba ein Unikat ist. Auch das Muster der Naht und die Farben variieren von Jahr zu Jahr. Er wird in mühevoller Handarbeit genäht, um sicher zu stellen, dass er auch dem Druck, der während dem Spiel auf ihm lastet, standhält. Nur Wenige beherrschen die Kunst einen Ba von Hand zu nähen. Deshalb kam es nach dem Zweiten Weltkrieg auch zu einem Engpass und die beiden Ba’ Games standen kurz vor der Absage. Glücklicherweise stifteten frühere Gewinner ihren Ba um die Tradition am Leben zu erhalten.
Für denjenigen, der den Ba behalten darf, ist er mehr als nur ein Spielutensil. Er ist eine Trophäe die ein Leben lang in Ehren gehalten wird. In der Regel stellen die Gewinner ihren Ba in ihrem Wohnzimmerfenster aus, damit ihn jeder von der Straße aus sehen kann. Eine Regelung über das weitere Schicksal des gewonnen Ba in sein Testament aufzunehmen ist keine Seltenheit.

Die Spielzeit

Das Ba’ Game findet zweimal jährlich statt. Am 25. Dezember und am 1. Jänner, jeweils um 13:00 Uhr wird der Ba eingeworfen. Das Spiel ist zu Ende sobald eine Mannschaft den Ba in ihr Tor gebracht hat. Zeitlich ist es unbegrenzt. Es kann sich um einige Minuten oder auch um mehrere Stunden handeln. Manchmal endet das Spiel sogar erst in den frühen Morgenstunden.

Das Spielfeld

Ganz Kirkwall. Der Ba wird auf dem Platz gegenüber der Kathedrale eingeworfen. Danach bewegen sich die Spieler durch ganz Kirkwall. Manchmal sogar durch Vorgärten, Wohnzimmer, Geschäfte oder sogar über Häuserdächer.
Wer unerwünschten Besuch und Sachschäden vermeiden möchte, sollte tunlichst alle Türen und Fenster mit dicken Brettern verbarrikadieren und sein Auto aus der Stadt fahren. Deshalb gleicht Kirkwall am Tag der Ba’ Games einer amerikanischen Kleinstadt, die sich auf einen Hurricane vorbereitet.

Die Mannschaften

Ba MannschaftenDie „UPPIES“ (Bewohner der Südstadt) treten gegen die „DOONIES“ (Bewohner der Nordstadt) an. Wer zu welcher Mannschaft gehört bestimmte früher der Geburtsort. Also ob man „up the gates“ oder „doon the gates“ geboren wurde. Anfang des 20. Jahrhundert, bekam Kirkwall allerdings eine Geburtsklinik, die in der Nordstadt liegt. Folglich müssten alle dort geborenen Kinder DOONIES sein. Weil die UPPIES dann allerdings „vom Aussterben bedroht“ wären, ist heute nur mehr die Abstammung entscheidend. War dein Vater ein UPPIE, bist auch ein UPPIE. War dein Vater ein DOONIE, bist du auch ein DOONIE.
Heute nehmen aber nicht nur die Bewohner von Kirkwall an dem Spiel teil. Von allen Orkney Islands kommen Männer, die bei diesem Spiel mitmachen wollen. Dabei zählt dann nur die Loyalität oder Vorliebe für eines der beiden Teams.
Alle Männer, die das 16. Lebensjahr vollendet haben sind zum Ba’ Game zugelassen. Eine obere Grenze der Spielteilnehmer gibt es nicht. In der Regel sind es etwa 300 Spieler.

Es gibt weder Mannschaftsfarben noch eigene Dressen. Man weiß einfach wer zu welcher Mannschaft gehört.
Die Männer bereiten sich auf das Spiel in wochenlangem intensiven Training in den einschlägigen UPPIE- PUBS bzw. DOONIE- PUBS vor.

Das Ziel

Das Uppie-Tor ist heute eine Straßenkreuzung (früher stand dort ein Stadttor).
Das Doonie-Tor ist das Hafenbecken von Kirkwall.
Die beiden Tore liegen mehr als eine Meile auseinander.
Am Ende des Spieles gibt es eine Art „Most Valuable Player“ Wahl. Dabei wird ein Spieler aus der Siegermannschaft bestimmt, der besonders wichtig für den Spielverlauf war und den Ba behalten darf.

Die Regeln

Kurz gesagt: Es gibt keine Regeln. Sobald der Ba in die Menge geworfen wurde, ist der Spielverlauf total unvorhersehbar. Der Ba darf mit jedem Körperteil gespielt, geworfen oder gekickt werden. Älteren Spielteilnehmern wird allerdings geraten sich abseits vom zentralen Spielgeschehen aufzuhalten, da der Druck innerhalb des Spielerpulks enorm hoch sein kann. Im Lauf der Jahrzehnte haben sich allerdings gewisse Regelungen herausgebildet. Verletzt sich zum Beispiel ein Spieler oder fällt in Ohnmacht, wird das Spiel sofort unterbrochen. Nachdem es beim Ba’ Game immer nur „um die Ehre“ geht, ist es selbstverständlich niemanden absichtlich zu verletzen. Zeitweise kann das Spiel mühsam und endlos wirken, zumal das Geschiebe und Gedrücke nach außenhin wie ein einfaches „Herumstehen“ aller Beteiligten aussieht.

Als „SCRUM“ bezeichnet man den Spielerpulk der sich rund um den Ba bildet. Teilt er sich kurz und fügt sich nachher wieder zusammen, bezeichnet man ihn als „FALSE SCRUM“.
Schafft es ein Spieler den Ba aus dem Pulk heimlich herauszuschmuggeln und damit zu verschwinden, nennt man das „SMUGGLE“.

Boy´s Ba

Für alle männlichen unter 16jährigen Einwohner von Kirkwall. Das Spiel findet am selben Tag wie der Men´s Ba statt und es gelten auch die gleichen Regeln. Allerdings wird der Ba für die „Juniors“ schon um 10:30 Uhr eingeworfen. Natürlich kann es passieren, dass das Boy´s Ba noch im Gange ist, wenn das Men´s Ba begonnen wird. Kollisionen der beiden Spielerpulks sind dabei fast unvermeidlich. Dennoch spielt jeder Spielerpulk sein Spiel. Auch wenn der Men´s Ba schon nach wenigen Minuten vorbei ist, kann der Boy´s Ba noch länger dauern.

Women´s Ba

Das Ba’ Game ist traditionell ein reiner Männersport. Die Rolle der Frauen ist auf das Anfeuern der Menge und die Sorge rund um das leibliche Wohl der Männer beschränkt. Dennoch haben die Frauen von Kirkwall 1945 versucht ihr eigenes Ba’Game auf die Beine zu stellen. Mit wenig Erfolg: Nach dem Einwurf um 11:30 Uhr sabotierten die Männer den Women´s Ba. Sie ließen mit einem SMUGGLE den Ball einfach verschwinden. Danach wurde das Spiel abgebrochen, ein neuer Ba beschafft und das Spiel erneut gestartet. Später tauchte der erste Ba wieder auf und die Verwirrung war perfekt. Nach den Protesten der männlichen Bevölkerung, die es einfach bevorzugte die Frauen als Fans und Betreuer rundherum stehen zu haben, wurde der Women´s Ba wieder eingestellt und die Spiele am 25.12.1945 und am 01.01.1946 sollten als die einzigen Women´s Ba in die Geschichte eingehen. Beide Spiele wurden von den Uppies gewonnen.

Die Entstehung des Ba’ Game

Rund um die Entstehung gibt es mehrere Legenden. Das einzige was alle gemeinsam haben: Statt dem Ba rollte immer ein Kopf. Schon die Wikinger sollen in einer Art Ba mit den Köpfen ihrer Feinde gespielt haben. Eine weitere Legende besagt, dass ein junger Orkadier den Tyrannen Tusker getötet habe und den Kopf als Trophäe an sein Pferd gebunden und damit nach Hause geritten sein soll. Dabei habe er sich an Tuskers vorstehenden Vorderzähnen verletzt und sei kurz nach seiner Ankunft in Kirkwall an diesem Kratzer verstorben. Die Orkadier sollen darüber so wütend gewesen sein, dass sie den Kopf des Tusker quer durch die Stadt gekickt haben. Sehr ähnlich der Tusker-Geschichte ist auch die Sage von Sigurd, der auch an solch einem Kratzer gestorben sein soll

Die beliebteste Legende erzählt von dem Kaufmann Jeremiah Tulloch. Der versuchte nämlich vor etwa 500 Jahren einen Streit zwischen den Mannen des Bischofs und denen des Grafen zu schlichten und verlor dabei, mehr aus Versehen, seinen Kopf. Mitten durch das mittelalterliche Kirkwall verlief damals die Steuergrenze: Die Bewohner Up-the-Gates (Uppies) mussten ihre Abgaben an den Bischof zahlen, diejenigen Down-the-Gates (Doonies) an den Grafen. Der Tod des vermeindlichen Schlichters war beiden Parteien so peinlich, dass jeder versuchte den Kopf auf das jeweils andere Gebiet zu bringen. Während dieses ersten aller Ba‘ Games soll allerdings der Kopf verschwunden sein und die Streithähne flüchteten aus der Stadt.

Das Ba’ Game in seiner heutigen Form gibt es seit 1850. (Übrigens auch das erste Jahr in dem das Spiel auch am 25. Dezember stattgefunden hat. Bis 1850 war nur ein Spiel am 1. Jänner angesetzt.) Vorgänger davon ist das Ba’ Lea (dabei wurde allerdings nur mit dem Fuß gespielt!) Obwohl Massenfußball schon bei den Römern und Griechen ein beliebter Sport war, ist das Ba’ Game wohl eine der letzten Formen des Massenfußballs, die in ihrer ursprünglichen Version die Jahre überdauert hat.

Ein weiterer Mythos rankt sich rund um die Bedeutung eines UPPIE oder DOONIE Sieges. Gewinnen die UPPIES, soll es eine erfolgreiche Ernte geben. Gewinnen die DOONIES kann man mit einer erfolgreichen Fischfang-Saison rechnen.
Tatsächlich brach 1846, im ersten Jahr von 29 aufeinander folgenden Siegen der DOONIES, eine grässliche Kartoffelfäule aus, die beinahe die gesamte Ernte vernichtete.

Verbotsversuche

Es gab zahlreiche Versuche das Spiel zu verbieten, allerdings stießen sämtliche Versuche auf erbitterten Widerstand der Bevölkerung – immerhin ist das Ba’ Game das wichtigste gesellschaftliche Ereignis in Kirkwall! 2001 war es wieder einmal so weit: die Bezirksverwaltung wollte das Spiel verbieten aus Angst vor Klagen verletzter Spieler oder Bürgern, deren Eigentum beschädigt wurde. Auch aus Edinburgh kamen Stimmen, die das Spiel als „unzivilisiert, brutal und gefährlich“ charakterisierten.
Ba’ Game Player konterten, dass man sich einem Verbot nie beugen würde. Der zweifache Ba’ Game- Gewinner Gary Gibson meinte treffend: Verhindern könne das Spiel keiner, denn schließlich benötigten die Orkadier nur einen Ball.